0:0 gegen Union Berlin. Die Stimmung ist im Arsch. Der Trainer wechselt zu spät, dann auch noch die Falschen. Und überhaupt haben auch die Falschen von Beginn an gespielt. Union muss man schlagen. Vernichtend am liebsten. Und zu null. Und wehe, es gibt ein Gegentor. Die Lauterer Helden der Gegenwart sind vor allem die, die nicht mehr da sind oder gerade nicht spielen. Ein Mugosa, ein Wooten, ein Dorow – die wurden ja alle abgegeben. Die hätten ja getroffen, vielleicht sogar per Hattrick. Und überhaupt, hätte der „setze einen beliebigen Auswechselspieler ein“ gespielt und nicht der „setze einen beliebigen Spieler ein, der gespielt hat“, wäre ja alles anders gekommen. Wie man es macht, macht man es falsch. Und am besten wissen das natürlich wir Fans. Scrolle ich meine Timeline auf Facebook und Twitter am Tag eines solches Spiels durch, werde ich von dieser Stimmung geradezu angesprungen. Die Wutbürger vereinen sich, finden Gleichgesinnte, finden Gegner, Diskussion eskalieren, es wird persönlich. Die Stimmung ist im Arsch. Immer weniger Zuschauer kommen auf dem Betzenberg. Der FCK ist dem Ende geweiht.
Achja, übrigens: Wir stehen punktgleich auf dem zweiten Tabellenplatz mit guten Chancen in die Bundesliga aufzusteigen – nicht auf dem 16. Tabellenplatz, wie man durchaus annehmen könnte. Muss zumindest mal erwähnt werden.
Doch irgendwas muss doch dran sein an dieser schlechten Stimmungslage? An der ständigen Kritik, an der Unzufriedenheit, die auch ich beim FCK teilweise verspüre. Woraus setzt sich diese Stimmung zusammen? Was ist diese Stimmung? Wie entsteht sie? Was benötigt es für gute Stimmung? Was beeinflusst die fußball- und fck-bezogene Stimmung des Einzelnen und die Stimmung im Stadion? Und welche Szenarien sind notwendig, damit gute Stimmung entsteht?
Ich habe mich mal auf die Suche nach Antworten gemacht.
Zunächst einmal die Grundlage: Menschen sind einfach grundsätzlich stark abhängig von ihrer Stimmung. Und alles kann Einfluss darauf nehmen. Das gilt individuell für jeden Einzelnen als auch für die Masse. Jeder Einzelne kann mit seiner Stimmung die Masse beeinflussen. Die Stimmung der Masse kann wiederum die Stimmung des Einzelnen beeinflussen.
Klar ist jedoch, dass diese Stimmung schwer kontrollierbar ist. Sie ist abhängig von Variablen. Und diese Variablen sind schwer zu fixieren. Macht mich ein 0:0 zufrieden? Kommt drauf an! Worauf? Den Gegner, das Spiel, die sportliche Situation und tausend andere Dinge. Diese Dinge liegen aber definitiv im unkontrollierbaren Bereich. Die Stimmung des Individuums und der Masse lassen sich nicht rational verändern. Wenn mich ein 0:0 unzufrieden macht, brauche ich mir nicht einzureden, dass es mich zufrieden macht. Stimmung ist fix, variabel sind hingegen die Gründe dafür.
Der Haupteinflussfaktor ist meiner Meinung nach die Relation zwischen Erwartung und Realität.
Ich vergleiche es mal anhand verschiedener Halbzeitstände. Der Indikator ist die gehörte und gefühlte Stimmung des Einzelnen, aber auch die der Masse (was natürlich nur schwer messbar ist). Wenn ich einen lockeren 3:0 Sieg erwarte, gehe ich mit einer anderen Einstellung und Stimmungslage in das Spiel als wenn ich eine deutliche Niederlage erwarte. Immer wenn die Realität besser als die Erwartung ist (Halbzeitergebnis 0:0, obwohl eine Niederlage erwartet wird), ist das Potential für gute Stimmung sehr hoch. Anders herum ist das Potential für gute Stimmung sehr niedrig, wenn ich von meiner Mannschaft erwarte, dass sie dieses Spiel 3:0 gewinnt, es aber zur Halbzeit 0:0 steht.
Also erstes Zwischenfazit: Ein reines Ergebnis steht immer im Verhältnis zur Erwartung. Praxisbeispiel: Vergleicht bitte die Stimmung der Fans zwischen dem Halbzeitstand beim FSV Frankfurt (0:0) und dem Halbzeitstand beim Spiel in Leverkusen (0:0). Dasselbe Ergebnis, doch zwei völlig verschiedene Stimmungslagen.
Also kann man die vereinfachte Formel aufstellen:
Erwartung > Realität = Schlechte Voraussetzung für Stimmung
Erwartung < Realität = Gute Voraussetzung für Stimmung
Das Wort „Erwartung“ muss auch noch weiter differenziert werden. Es betrifft einmal die kurzfristige Erwartung auf das Spiel bezogen (also ob ich von Sieg oder Niederlage ausgehe) und die langfristige Erwartung. Die langfristige Erwartung ist beim FCK eine vollkommen andere als z.B. beim FSV Frankfurt. In den Köpfen der FCK-Fans sind wir ein Erstligist, bestückt mit zahlreichen Erfolgen, deplatziert in der 2. Liga. Das Bild eines FSV-Fans im Hinblick auf die Erwartung sieht logischerweise ganz anders aus.
Das heißt, unabhängig von der Erwartung des Ergebnisses gehen beide Fanlager mit vollkommen unterschiedlichen Erwartungen in das Spiel. Naturgemäß ist die Erwartung eines FCK-Fans in der 2. Liga stets am Maximum. Alles andere als ein Sieg ist meist zu wenig. Es ist fast unmöglich, dass die Realität die Erwartung übertreffen kann. Folglich gibt es kaum Potential für gute Stimmung und Zufriedenheit. Genau diesen Zustand haben wir aktuell.
Anders sehe das selbstredend bei einem Aufstieg aus. Stellen wir uns das Szenario des Aufstiegs und der damit verbundenen Zugehörigkeit zur 1. Liga vor. Die grundsätzliche Erwartung ist der Klassenerhalt, nicht mehr und nicht weniger. Beinahe jedes Spiel bestreitet der FCK als Außenseiter. Die kurzfristige Erwartung ist stets die einer Niederlage, die langfristige ist die des Klassenerhalts. Folglich fällt es viel leichter, die Erwartungen durch die Realität zu übertreffen.
Und letztlich ist genau dieses Phänomen auch schon mehrmals in den vergangenen Jahren zu betrachten gewesen. Besonders im Abstiegskampf rücken die Fans zusammen. Besonders dann, wenn die Hoffnung schwindet und eigentlich keine Chance mehr besteht, rückt man zusammen.
Genau das kann man auch auf andere Mannschaften übertragen. Und es ist auch eine Erklärung, warum beim FC Bayern München einfach kann keine herausragende Stimmung entstehen kann. Die Erwartung ist am absoluten Maximalpunkt. Selbst wenn die Realität einen 8:0 Sieg gegen den Hamburger SV hervorbringt, sprengt es nicht den Rahmen der Erwartung. Schlimmer noch: Die Folge ist, dass Siege mit 2 bis 3 Toren Unterschied schon als Enttäuschung betrachtet werden. Höchstens ein 4:0 Sieg gegen Real Madrid im Halbfinale der Championsleague hat die Kraft, die Erwartung zu übertreffen. Darum ist es höchst unspannend, Bayern-Fan zu sein. Zufriedenheit ist dort das höchste aller Gefühle. Doch nur überraschende und unerwartete Ereignisse haben die Kraft, um für euphorische Glücksgefühle zu sorgen. Darum sollte man jeden Bayern-Fan bemitleiden. Das werden sie vermutlich nie erfahren.
Selbiges ist im Verlauf der vergangenen Jahre bei der DFB-Elf zu beobachten gewesen. Aufgrund des Potentials der Mannschaft und der mehrmals erreichten Halbfinals, zählte nur noch der Titel. Das ist das Dilemma des Erfolges. Erfolg bringt Anspruch mit sich. Anspruch zu erfüllen ist bei weitem nicht so befriedigend, wie Ansprüche zu übertreffen.
Ein letztes allgemeines Beispiel: Der Pokal hat seine eigenen Gesetze heißt es so schön. In schöner Regelmäßigkeit setzen sich Vereine aus den unteren Ligen gegen auf dem Papier deutlich bessere Mannschaften durch – oder machen ihnen zumindest das Leben schwer. So gesehen auch in dieser Runde bei unserem Spiel gegen Leverkusen oder auch bei dem Sieg Arminia Bielefelds gegen Werder Bremen.
Und dieses Phänomen lässt sich ebenfalls mit der Formel erklären. Die Erwartung seitens Bremen und Leverkusen ist ein klarer und lockerer Sieg – bei den Spielern und auch bei den Fans. Im Grunde kann der Favorit nur verlieren und der Außenseiter nur gewinnen. Selbst eine Niederlage ist für den Außenseiter im Bereich des Akzeptablen. Diese Voraussetzung der geringen Erwartungshaltung sorgt dafür, dass die Realität es leicht hat, das Potential für gute Stimmung auszuschöpfen.
Aber ist die Relation zwischen Erwartung und Realität starr und fix? Nein, sie ist flexibel. Sie ändert sich auch während des Spielverlaufs. Ein Rückstand senkt die Erwartung und schafft Raum, um durch ein gedrehtes Spiel für gute Stimmung zu sorgen.
Einfach gesagt: Ein 2:1-Sieg sagt nichts über die Stimmung (und deren Entwicklung) aus. Es macht einen Unterschied, ob man 2:0 führte oder ob man 0:1 zurücklag und das Spiel in der Schlussphase gedreht hat. Ebenso haben logischerweise Platzverweise einen Einfluss auf die Erwartungshaltung.
Der Aspekt der Relation zwischen Erwartung und Realität ist das vorrangige Problem. Nichts anderes. Und das findet im Unbewusstsein statt. Das Bewusstsein bzw. der Verstand sucht sich nur oberflächlich andere Gründe. Es liegt ja in der Natur des Menschen nach Lösungen für ein Problem zu suchen. Spieler schuld, Trainer schuld, Vorstand schuld. Hätte man es anders gemacht, wäre es besser gewesen – die leichteste aller Erklärungen. Nichts davon trifft den Kern der aktuellen Lage. All das ist nur das weit geöffnete Ventil, das sich dem Druck der übersteigerten Erwartung entledigt. Der Mensch ist sehr einfach gestrickt, auch wenn jeder Einzelne das natürlich nicht von sich behauptet. Im Grunde sind wir wie Kleinkinder, die nach der Flasche schreien, weil wir nicht bekommen was wir wollen. Früher haben wir halt größere Flaschen bekommen und die blöden neureichen Babys bekommen sogar Flaschen geschenkt (mit Red Bull drin). Wir sind Lebewesen, die von chemischen Reaktionen und niederen Instinkten geleitet werden. Das sollte sich auch jeder bewusst machen, bevor er insbesondere im Internet seine Meinung mit einem Klick postet.
Aber wo ein Problem ist, ist ja auch immer eine Lösung. Schön wärs, oder? Die Erwartung lässt sich nur schwer herunterfahren. Vor allem die langfristige. Ein FCK-Fan wird sich niemals mit der Zweitklassigkeit zufrieden geben. Diese schleichende Unzufriedenheit wird sich fortsetzen, bis wir in der 1. Liga sind. Bis dahin entlädt sich das Ventil. Und dem FCK ist nur zu wünschen, dass sie die Ruhe bewahren.